Simon Heiniger

Simon Heiniger

«Poor man’s E-Type» – very poor man!

Simon Heiniger: Geboren 1962 und aufgewachsen im Emmental. Medizinstudium in Bern. Dank einem
Curriculum der FIAM Bern Ausbildung zum Allgemeinmediziner. Seit 1994 Hausarzt in Olten. Verheiratet mit einer sehr verständnisvollen und geduldigen Frau, 3 erwachsene Kinder. Er schreibt wie ein Schriftsteller:

Ich möchte Ihnen etwas über mein Hobby erklären. Ich restauriere. Aus medizinischer Sicht ist das Problem des Restaurierens noch nicht vollständig geklärt. Man vermutet eine relativ seltene Spontanmutation auf dem Y-Chromosom (die weibliche Leserschaft kann also entspannt aufatmen). Diese Abweichung vom ursprünglichen Genom zwingt die männliche Psyche, sich mit aller Gewalt gegen das natürliche Altern zu stellen. Gelingt dies dem Manne bei sich selbst nicht, so wendet er sich voller Energie zum Beispiel seinem Auto zu.

«Teile und herrsche» – aber vorher unbedingt eine Skizze
machen!

Bei mir traten in untypisch jungen Jahren die ersten Symptome auf, welche ich damals noch nicht eindeutig zu interpretieren wusste: Ich begann während des Studiums Holzmöbel zu restaurieren. Zum mentalen Ausgleich, hatte ich damals allen gesagt, und selber fühlte ich mich absolut sicher, dass damit ich für spätere Krisenzeiten eine Überlebenshilfe und vielleicht sogar ein zweites Standbein gefunden
hatte. Als nach wenigen Jahren unsere Wohnung aussah wie ein Bühnenbild zu einem Gotthelf-Theater, liess ich mich von meiner Frau überzeugen, dass es für die Kinder vielleicht nicht sehr förderlich sei, wenn sie in diesem antiquierten Wohnklima aufwachsen und überhaupt sei doch etwas Modernes auch sehr reizvoll. Ich erkannte die Ernsthaftigkeit dieser Einwände, zog mich ein wenig gekränkt in meine Werkstatt zurück, verschenkte ein Stück ums andere und liess gönnerhaft die Moderne langsam in unseren Haushalt einziehen. Ich hatte Zeit und Gelegenheit, mir ein neues Hobby auszusuchen. Einen kurzen Moment hatte ich sogar an Sport oder Lesen gedacht.

Wie bei vielen chronischen Geschichten (Krankheiten) gibt man sich in der symptomfreien Zeit gerne der Illusion hin, dass man gesund sei. Als ich jedoch kurze Zeit nach der Praxiseröffnung einen Triumph Spitfire sah (für den interessierteren Leser: Mk IV, Jg 72), rechnete ich rasch die Zahl auf dem Preisschild zur Summe der Investitionsausgaben, und weil dies keine beeindruckende Differenz ergab, fuhr ich mit dem Spitfire nach Hause. Diese für mich oftmals typische und für mein Umfeld im gleichen Masse überfordernde Spontaneität fand auch diesmal nicht sehr grosse Akklamation, seither bespreche ich einen Autokauf immer vorgängig mit meiner Frau, oder ich erwähne ein derartiges Projekt wenigstens; manchmal. Der Spitfire war ein guter Kauf. Fast immer sprang der Motor an, nur selten liess er mich unterwegs im Stich. Ab und zu schraubte ich neugierig etwas ab, bestaunte das für mich (noch) namenlose Teil und schraubte es wieder an. Scheinbar war es in Ordnung, es funktionierte ja alles. Der Haken an diesem Auto war, dass es nichts zu restaurieren gab. Bei einer späteren Gelegenheit klagte ich diese Not dem Triumph-Händler. Ich glaube, er hat damals einen Moment mit sich gerungen, bis er mir sagte, anstatt das gute Auto zu verschandeln, hätte er da eine Idee. Sein Vorschlag war ein doch sehr heruntergekommener Triumph GT6 (für den immer noch interessierten Leser: Mk I, Jg 68, auch genannt «poor-man’s E-Type»), vor Jahren hinter der Garage abgestellt und dem rosttriefenden Zahn der Zeit überlassen.

Läuft, aber fährt noch nicht

Mein Restaurationsherz empfand Mitleid, schlug höher und mit viel Mühe (die Details darf ich nicht erwähnen, denn die verschiedenen Gesetzesübertretungen sind möglicherweise noch nicht verjährt) stellte ich das «Fahrzeug» auf unseren Hausplatz. Dem für mich nicht ganz nachvollziehbaren Entsetzen meiner Frau (hatte ich es wirklich vergessen, sie darüber zu informieren?) versuchte ich mit Argumenten entgegenzuhalten wie «bis im Frühling wird das ein tolles Auto» und «sieht schlimm aus, hat aber eine solide Substanz». Zugegeben, es ist mehrmals Frühling geworden und die Substanz war irgendwie doch nicht ganz so toll. Um meiner Entschlossenheit auch gleich eine Prise Glaubhaftigkeit zu verleihen, begann ich noch am gleichen Tag mit der ziemlich hektischen Demontage. Gerade dieser mutige Arbeitsschritt ist zur Nachahmung nicht sehr geeignet: noch heute habe ich eine vorwurfsvolle Kiste mit Kleinteilen, für welche ich beim Zusammensetzen mit aller Phantasie einfach keinen Platz fand. Sehr schnell trat ein unerwartetes Platzproblem auf. Wenn das Auto in fahrbarem Zustand die Ausmasse eines Kleinfahrzeuges hat, ist der Platzbedarf in ausgeschlachtetem Zustand etwa viermal grösser. Ich musste den mittlerweile modernisierten Wohnraum ganz dezent zum Lagerraum einbeziehen und auch bei dieser zweckmässigen Raumumnutzung blieb der Applaus seltsamerweise aus. Heute kann ich darüber sprechen, in dieser Phase bin ich fast verzweifelt. Das halbe Quartier amüsierte sich über den Lärm und das Chaos.

Aufgeben? Wer restauriert, kennt diesen Ausdruck nicht, und überhaupt, es gehört doch zum ureigenen
Wesen des Hausarztes, dran zu bleiben, nicht aufzugeben, auch wenn niemand mehr an ein gutes Ende
glaubt. Ich brauchte Hilfe und Trost, viel Trost. Das Bücherregal füllte sich mit Fachliteratur über englische Fahrzeuge, Rostbehandlung, Motorenbau, Berichten mit Tipps und Tricks von Leidensgenossen. Ich durfte feststellen, ich war nicht alleine. Vielerorts gibt es scheinbar ähnliche Schicksale, mit tapferer Ausdauer leidet so manch selbsternannter Bewahrer von rostigen Autos in einer kleinen, ungeheizten Garage. In kleinen Schritten ging das Projekt voran. Es gab eine Zeit, da waren die verschiedenen Teile in einem
Umkreis von vielen Kilometern verteilt, der Motor beim Kardiologen, das Fahrgestell beim Orthopäden
und die Karosserie beim Dermatologen. Unser Haus war wieder stressfrei bewohnbar geworden. In dieser Situation konnte ich wieder von meiner hausärtzlichen Erfahrung profitieren.

«Barba non facit philosophum», und eine schöne Karosserie
macht noch lange kein Fahrzeug.

Es bedurfte meiner hartnäckigen Aufmerksamkeit, bis mein Patient (halt immer noch zerlegt) endlich wieder zuhause war. Jetzt nur noch zusammenbauen. Mit meiner nun doch schon beachtlichen Erfahrung und dem mit Schmerzen erlernten Umgang mit vielen neuen Werkzeugen sollte das eigentlich doch nur noch den krönenden Abschluss darstellen. Der Abschluss und ganz besonders die Krönung sollten noch einen weiteren Frühling warten müssen. Ich machte Bekanntschaft mit dem englischen Verständnis von Präzision. Die Masse der importieren Neuteile passten selten, wo eine Aussparung sein sollte, war keine
und der Kabelbaum hatte unendlich viele Nervenenden, welche einfach irgendwo unmotiviert endeten (ich hätte vielleicht in der Neurologie besser aufpassen sollen). Improvisation und Mut waren gefragt.
Als auf dem frisch furnierten Armaturenbrett alle Löcher und Aussparungen verdeckt waren, liess ich das Teil in der Praxis röntgen. Mit dem ausgedienten Bronchoskop konnte ich mir auch in den Tiefen des Motors oder der Karosserie manchmal wieder einen Überblick verschaffen. Und all die nützlichen chirurgischen Instrumente, sie wurden kurzzeitig ein wenig zweckentfremdet (und natürlich später
wieder aufsterilisiert).

Einmal im Herbst war dann der Triumph fertig, vorher im «british-racing-green», jetzt in einem versöhnlichen «powder-blue». Es funktionierte alles, und sogar die Motorfahrzeugkontrolle gab den
Veteranen-Segen dazu. Eine kurze Zeit waren die Krankheitssymptome verschwunden, alle freuten
sich an der wundersamen Heilung. Wenn da nicht die Moto Guzzi beim Töffhändler gestanden wäre,
oder der traurig schöne Saab im Internet, oder die alte Vespa in der Scheune des Schwiegervaters …

Mit der Zeit und den Erfahrungen habe ich etwas ganz Wesentliches gelernt. Vor jeder neuen Anschaffung spreche ich zuerst mit meiner Frau. Sie hat gelernt, mit meiner Schwäche zu leben, und geduldig steht immer noch zu mir (manchmal bekommt sie doch noch eine Krise, wenn so viele Fahrzeuge im und ums Haus stehen, dann muss ich halt wieder ein restauriertes Objekt loswerden; macht nichts, ich finde schon wieder ein anderes).

Liebe Leserin und lieber Leser, ich hätte da noch eine Bitte zum Schluss: Wenn Ihnen ein Mann in einem glänzend schönen und alten Auto begegnet, seien Sie nett zu ihm. Er hat viel durchgemacht.

PrimaryCare 2006;6: Nr. 51-52

Dr. med. Simon Heiniger
Ziegelfeldstrasse 25
4600 Olten
heiniger.simon@freesurf.ch